Του Γιώργου Χρηστίδη
zu Schulzeiten habe ich eine Erfahrung gemacht, die mich an die heutige Lage meines Landes erinnert: Mit 15 fragte ich meinen besten Freund, ob er mir ohne weiteres 10.000 Drachmen leihen würde. "Kommt drauf an, wofür", sagte er. "Ich würde sie dir für eine Herzoperation geben, aber nicht für einen neuen Computer."
zu Schulzeiten habe ich eine Erfahrung gemacht, die mich an die heutige Lage meines Landes erinnert: Mit 15 fragte ich meinen besten Freund, ob er mir ohne weiteres 10.000 Drachmen leihen würde. "Kommt drauf an, wofür", sagte er. "Ich würde sie dir für eine Herzoperation geben, aber nicht für einen neuen Computer."
Die Einschränkung machte mich damals wütend. Doch wir haben uns wieder vertragen, ich wurde später sogar sein Trauzeuge und bin seitdem um eine Einsicht reicher: Man bekommt im Leben nur selten etwas einfach so.
Deshalb verstehe ich auch die fast 70 Prozent von Ihnen, liebe deutsche Steuerzahler, die uns laut einer aktuellen Umfrage mit Ihrem hart verdienten Geld keinen neuen Schuldenschnitt finanzieren wollen. Aber ich würde Sie gerne überzeugen, dass solche Großzügigkeit in Ihrem eigenen Interesse ist.
Erst einmal wären mit einem Euro-Austritt Griechenlands auch rund 50 Milliarden Euro weg, die Sie uns bereits geliehen haben – von anderen unschönen Folgen eines Grexit ganz abgesehen. Außerdem verließe Griechenland zwar den Euro, aber nicht Ihre Titelseiten und Bildschirme. Mich hat mal ein Berliner Taxifahrer sehr beeindruckt, weil er aufgrund der ständigen Krisenberichterstattung den Namen eines griechischen Vizeministers kannte. Das griechische Drama würde Sie auch nach einem Euro-Aus über Jahre verfolgen. Die Nachrichten im Fernsehen, auf ihrem Tablet und Smartphone wären voll mit Berichten über einen gescheiterten Staat mitten in Europa und über die griechische Bevölkerung, die unter Importkürzungen, Kapitalverkehrskontrollen, einer Hyperinflation und einer extremen Armut leiden würde. Und raten Sie mal, wer dafür verantwortlich gemacht würde: Ganz genau, Sie und Ihre Regierenden.
Dann ist da die mögliche Kettenreaktion: Wenn Griechenland den Euro verlässt, dann könnten ihm andere Euro-Schwächlinge folgen – sogar freiwillig. Wie der US-Ökonom Paul Krugman dargelegt hat, könnteGriechenland ohne Euro zum Erfolgsmodell werden, das andere Länder imitieren wollen. Die Rückkehr zur Drachme hätte nämlich nicht nur den Vorteil, dass man sie abwerten kann, sondern auch, dass die griechische Zentralbank ungebremst Geld drucken darf. Für Deutschland wäre das katastrophal: Der Euro würde immens aufwerten, und die Wirtschaftsstärke Ihres Landes stark abschwächen. Deutschland würde viele innereuropäische Handelsmärkte verlieren und damit auch den Titel "Europas Motor".
Bevor Sie jetzt sagen, ich sei ja ganz schön großzügig mit Ihrem Geld, würde ich gerne auf eine wenig bekannte Tatsache hinweisen: Mitten in seiner tiefsten Krise hat Griechenland dem Irak mehr als die Hälfte seiner Schulden erlassen, der Rest muss erst ab 2019 zurückgezahlt werden. Der erlassene Betrag machte zwar nur 0,1 Prozent unserer Wirtschaftsleistung aus. Aber wenn Sie uns als wirtschaftlich deutlich stärkeres Land die Hälfte unserer Schulden erlassen würden, wären auch nur 0,6 Prozent Ihrer Wirtschaftsleistung betroffen.
Wahrscheinlich antworten Sie jetzt, dass unsere kleine Wirtschaft gar nicht das Problem sei, sondern das schlechte Vorbild, das wir anderen Krisenländern böten. Ist also Abschreckung das Ziel?
Das haben Sie schon 2010 versucht, als Ihre Finanzhilfen mit möglichst harten Sparauflagen verbunden wurden. Glauben Sie mir, das hat funktioniert. Ein Freund von mir ist nach Saudi-Arabien ausgewandert, ein anderer jobbt für 100 Euro im Monat in einem Call-Center, viele weitere Bekannte sind arbeitslos oder arbeiten ohne Bezahlung. Jedes Land wäre verrückt, wenn es diesem Beispiel folgen wollte.
Manche von Ihnen mögen gegen weitere Hilfen sein, weil Sie die antideutschen Töne in Griechenland empören – etwa dass die Parteizeitung von Syriza kürzlich Wolfgang Schäuble in Nazi-Uniformzeigte. Ich fand das auch unschön. Aber hat Europa sich nach den Anschlägen von Paris nicht gerade die Hände gereicht und Meinungsfreiheit auch dann verteidigt, wenn sie blasphemisch ist? Außerdem hat es auch uns nicht wirklich erfreut, als Ihr "Focus" unsere Aphrodite mit Stinkefinger zeigte und von "Betrügern" schrieb.
Und schließlich: Der Grexit mag verlockend erscheinen, wenn Sie wie mein Berliner Freund Marco zu den zwei Millionen Deutschen gehören, die dieses Jahr bei uns Urlaub machen wollen. Mit Drachme könnten Sie künftig einen 60-Prozent-Rabatt bekommen. Aber Sie dürften an einem verzweifelten Ort voller unglücklicher Gesichter und Deutschenfeindlichkeit ankommen, wo laut manchen Experten sogar Nahrungsmittelknappheit droht. Nicht der perfekte Ort zum Entspannen, wie Sie mir sicher zustimmen werden.
Falls Ihr Parlament also bald über neue Hilfen für Griechenland befinden muss, so hoffe ich, dass es nicht wie mein Schulfreund reagiert. Vielleicht können die Abgeordneten stattdessen an Adam Smith oder Alexis de Tocqueville denken. Die glaubten schon vor langer Zeit: Wer im Eigeninteresse handelt, nutzt am Ende der gesamten Gemeinschaft.
Herzliche Grüße
Giorgos Christides
P.S.: Der Artikel ist bei taz.de (27.3.2015) zu lesen
Deshalb verstehe ich auch die fast 70 Prozent von Ihnen, liebe deutsche Steuerzahler, die uns laut einer aktuellen Umfrage mit Ihrem hart verdienten Geld keinen neuen Schuldenschnitt finanzieren wollen. Aber ich würde Sie gerne überzeugen, dass solche Großzügigkeit in Ihrem eigenen Interesse ist.
Erst einmal wären mit einem Euro-Austritt Griechenlands auch rund 50 Milliarden Euro weg, die Sie uns bereits geliehen haben – von anderen unschönen Folgen eines Grexit ganz abgesehen. Außerdem verließe Griechenland zwar den Euro, aber nicht Ihre Titelseiten und Bildschirme. Mich hat mal ein Berliner Taxifahrer sehr beeindruckt, weil er aufgrund der ständigen Krisenberichterstattung den Namen eines griechischen Vizeministers kannte. Das griechische Drama würde Sie auch nach einem Euro-Aus über Jahre verfolgen. Die Nachrichten im Fernsehen, auf ihrem Tablet und Smartphone wären voll mit Berichten über einen gescheiterten Staat mitten in Europa und über die griechische Bevölkerung, die unter Importkürzungen, Kapitalverkehrskontrollen, einer Hyperinflation und einer extremen Armut leiden würde. Und raten Sie mal, wer dafür verantwortlich gemacht würde: Ganz genau, Sie und Ihre Regierenden.
Dann ist da die mögliche Kettenreaktion: Wenn Griechenland den Euro verlässt, dann könnten ihm andere Euro-Schwächlinge folgen – sogar freiwillig. Wie der US-Ökonom Paul Krugman dargelegt hat, könnteGriechenland ohne Euro zum Erfolgsmodell werden, das andere Länder imitieren wollen. Die Rückkehr zur Drachme hätte nämlich nicht nur den Vorteil, dass man sie abwerten kann, sondern auch, dass die griechische Zentralbank ungebremst Geld drucken darf. Für Deutschland wäre das katastrophal: Der Euro würde immens aufwerten, und die Wirtschaftsstärke Ihres Landes stark abschwächen. Deutschland würde viele innereuropäische Handelsmärkte verlieren und damit auch den Titel "Europas Motor".
Bevor Sie jetzt sagen, ich sei ja ganz schön großzügig mit Ihrem Geld, würde ich gerne auf eine wenig bekannte Tatsache hinweisen: Mitten in seiner tiefsten Krise hat Griechenland dem Irak mehr als die Hälfte seiner Schulden erlassen, der Rest muss erst ab 2019 zurückgezahlt werden. Der erlassene Betrag machte zwar nur 0,1 Prozent unserer Wirtschaftsleistung aus. Aber wenn Sie uns als wirtschaftlich deutlich stärkeres Land die Hälfte unserer Schulden erlassen würden, wären auch nur 0,6 Prozent Ihrer Wirtschaftsleistung betroffen.
Wahrscheinlich antworten Sie jetzt, dass unsere kleine Wirtschaft gar nicht das Problem sei, sondern das schlechte Vorbild, das wir anderen Krisenländern böten. Ist also Abschreckung das Ziel?
Das haben Sie schon 2010 versucht, als Ihre Finanzhilfen mit möglichst harten Sparauflagen verbunden wurden. Glauben Sie mir, das hat funktioniert. Ein Freund von mir ist nach Saudi-Arabien ausgewandert, ein anderer jobbt für 100 Euro im Monat in einem Call-Center, viele weitere Bekannte sind arbeitslos oder arbeiten ohne Bezahlung. Jedes Land wäre verrückt, wenn es diesem Beispiel folgen wollte.
Manche von Ihnen mögen gegen weitere Hilfen sein, weil Sie die antideutschen Töne in Griechenland empören – etwa dass die Parteizeitung von Syriza kürzlich Wolfgang Schäuble in Nazi-Uniformzeigte. Ich fand das auch unschön. Aber hat Europa sich nach den Anschlägen von Paris nicht gerade die Hände gereicht und Meinungsfreiheit auch dann verteidigt, wenn sie blasphemisch ist? Außerdem hat es auch uns nicht wirklich erfreut, als Ihr "Focus" unsere Aphrodite mit Stinkefinger zeigte und von "Betrügern" schrieb.
Und schließlich: Der Grexit mag verlockend erscheinen, wenn Sie wie mein Berliner Freund Marco zu den zwei Millionen Deutschen gehören, die dieses Jahr bei uns Urlaub machen wollen. Mit Drachme könnten Sie künftig einen 60-Prozent-Rabatt bekommen. Aber Sie dürften an einem verzweifelten Ort voller unglücklicher Gesichter und Deutschenfeindlichkeit ankommen, wo laut manchen Experten sogar Nahrungsmittelknappheit droht. Nicht der perfekte Ort zum Entspannen, wie Sie mir sicher zustimmen werden.
Falls Ihr Parlament also bald über neue Hilfen für Griechenland befinden muss, so hoffe ich, dass es nicht wie mein Schulfreund reagiert. Vielleicht können die Abgeordneten stattdessen an Adam Smith oder Alexis de Tocqueville denken. Die glaubten schon vor langer Zeit: Wer im Eigeninteresse handelt, nutzt am Ende der gesamten Gemeinschaft.
Herzliche Grüße
Giorgos Christides
P.S.: Der Artikel ist bei taz.de (27.3.2015) zu lesen